Märchenhafte Zeiten
„Am Anfang war das Wort“, zitiert Augustin aus dem Johannes-Evangelium und nähert sich der Zeit der Märchenerzähler aus kommunikationstheoretischer Sicht. Was macht ein Märchen aus? Es entsteht im Volk. Es wird weitererzählt. Es hat Multiplikatoren, die es weiterverbreiten. Es wird gefiltert und permanent angepasst. Und seine Produktion und Rezeption sind miteinander vereint – das Märchen wird genau dort und zu genau dem Zeitpunkt gehört, wo und wann es erzählt wird. Man ahnt bereits: Sehr ähnlich ist das auch heute, wenn wir Soziale Netzwerke nutzen! Doch bis dahin war es noch ein langer Weg …
Die Welt verstummt
Dank der Erfindung der Schrift werden die Geschichten nicht nur aufgeschrieben, sondern sozusagen eingefroren. Produktion und Rezeption entfernen sich voneinander. Der Sieg des geschriebenen über das gesprochene Wort wird schließlich durch die Erfindung des Buchdrucks besiegelt. Massenmedien monopolisieren im 20.Jahrhundert die Produktion. Jetzt fließt der Kommunikationsfluss fast ausschließlich in nur eine Richtung: vom Sender zum Konsumenten. Eine Wende läutet der erste funktionsfähige Computer ein, den Konrad Zuse im Jahr 1941 baut. Für viele Lacher sorgt Augustin, als er IBM-Chef Thomas Watson zitiert, der 1943 gesagt haben soll: „Ich glaube, dass es auf der Welt einen Bedarf von vielleicht fünf Computern geben wird.“
Glücklich dank Sozialer Netzwerke?
Das Web 2.0 markiert einen weiteren Sprung in der Kommunikationsgeschichte: Blogs, Foren oder Netzwerke schießen wie Pilze aus dem Boden – in gewisser Weise ist es ein Sprung zurück in die Zeit der Märchenerzähler: Plötzlich wird der Content dynamisiert, die Produktion demokratisiert und wieder mit der Rezeption vereint. Dann kommt das Jahr 2007 und der Tag, an dem Steve Jobs das iPhone präsentiert und behauptet: „Today, Apple is going to reinvent the phone.“ Und wir stecken schon mittendrin im nächsten großen Ding: Das sind Wearables und das Internet of Things – die Vernetzung von allem mit allem.
Augustin kommt zu dem Schluss, dass uns Soziale Netzwerke glücklich machen, weil sie uns etwas Verlorenes zurückgeben: All das, was seit der Zeit der Märchenerzähler auf der Strecke geblieben ist. Für den Mainzer Autor und Unternehmer ein schlagkräftiges Argument gegen Kulturpessimisten, die den neuesten Entwicklungen nicht recht über den Weg trauen – für das Donnerstalk-Publikum eine spannende These, die lebhaft diskutiert wurde.
Ed Snowdens eindringlicher Appell
Der zweite Speaker des Abends war kein Geringerer als Edward Snowden. Na gut: Er war nicht persönlich anwesend, und es gab auch keine Liveschalte – aber es wurde eine Aufzeichnung der TED-Konferenz gezeigt, in der Snowden per Telepräsenz-Roboter aus Russland zugeschaltet war.
Snowden erklärt eindringlich, warum es so wichtig ist, dass sich die Gesellschaft das Internet zurückerobert, und wie das gelingen kann. Sein ergreifendes Schluss-Statement: „Wir müssen unsere Privatsphäre nicht aufgeben, um eine gute Regierung zu haben. Wir müssen unsere Freiheit nicht aufgeben, um Sicherheit zu haben. Und ich denke, indem wir zusammenarbeiten, können wir eine offene Regierung haben und Privatsphäre. Ich freue mich darauf, mit jedem in der Welt zusammenzuarbeiten, um das durchzusetzen.“
Beim Donnerstalk im Oktober gibt’s den „2. PechaKucha Abend der Wiesbadener Kommunikationsdesigner“. Mit einer „Flop-Parade der Designer“ wird diesmal das Scheitern zelebriert. (Was beim 1. PechaKucha Abend geschah, ist hier nachzulesen.)